Brechts Konstrukt aus Wahrheit, Schönheit und Nützlichkeit ist allerdings ein weites Feld, das keine allumfassenden Deutungsmöglichkeiten bietet. In „An die Nachgeborenen“ scheint Brecht die Situation im Exil auf das Nachdrücklichste zusammenzufassen. [102] Für eine Elegie durchaus legitim[103] beherrscht eine depressiv anmutende Grundstimmung die Szenerie; klagende, traurige Themen dominieren den Inhalt. Vgl. Die gerade neu gegründete Weimarer Republik war anfangs durch eine instabile Regierung gekennzeichnet, die mit dem Gegenwind von links- und rechtsextremen Systemgegnern fertig werden musste. 2. 0000067010 00000 n [94] In: Kuhn, Tom: Brecht als Lyriker, in: Knopf, Jan (Hrsg. 4.4.1.2 Brechts Parabelstücke So entstanden in dieser Zeit zwar seine bedeutendsten Theaterstücke (rund zwei Drittel davon waren dem literarischen Kampf gegen den braunen Kanzler gewidmet) – exemplarisch seien an dieser Stelle nur „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ (1938), „Leben des Galilei“ (1938), „Mutter Courage und ihre Kinder“ (1939) und „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (1941) genannt –, angemessen inszenieren konnte er sie jedoch nicht. xref Die Gelegenheit wollte er sich nicht entgehen lassen. Auch in dem Theaterstück „Der Kaukasische Kreidekreis“, geschrieben von Bertolt Brecht und uraufgeführt im Jahre 1948, ist dies der Fall. Bis zu welchem Detailgrad Brecht diese elegante Verbindung zwischen einem warnenden Charakter und den ästhetischen Betrachtungsweisen in seinen Gedichten auslebte, soll nachfolgend neben der eröffnenden Interpretation des Gedichtes „An die Nachgeborenen“[98] an weiteren Beispielen belegt werden. Brecht sah sich in einem scheinbar unlösbaren Konflikt der schriftstellerischen Produktion, der sich zwischen dem Bangen, dass sowohl Werk als auch Autor vergessen werden und der noch größeren Angst, gegen dieses Unheil auf falsche Weise anzukämpfen, entlud. Ebenso wichtig ist, dass er vor allem in den Schriften „Der Messingkauf“[52] und „Kleines Organon für das Theater“[53] seine Theorie des epischen Theaters – dessen Ziel ist ein kritischer Zuschauer, der zu eben jenem Wohle beitragen kann – begründete. Der Mittelteil, das zweite Gedicht, entstanden 1934, stellt deren ältestes dar, das jedoch in die ersten, bereits getippten Fassungen der „Svendborger Gedichte“, deren Herausgabe 1937 unter dem Titel „Gedichte im Exil“ geplant war, nicht mit einbezogen wurde. [23] Einen Tag später, am 11. Unter dem Druck der extremen politischen Situation sah Brecht sich gezwungen, antifaschistische, engagierte Dichtkunst zu verfassen, die es gleichzeitig schaffen sollte, als rein politische Lyrik nicht in das ästhetische Abseits abgeschoben zu werden. dazu unter anderem: Knopf, Jan: Bertolt Brecht. Es ist eines seiner vielleicht persönlichsten Gedichte, welches stark auf den Rezipienten wirkt – wahrscheinlich steht es nicht zuletzt aufgrund dieses Wirkungseffektes, abgesehen von seiner unten stehend erläuterten Synthesefunktion, am Ende der „Svendborger Gedichte“. Stuttgart/Weimar 2001, S. 12. Cohen, Robert: Brechts ästhetische Theorie in den ersten Jahren des Exils, in: Schreckenberger, Helga (Hrsg. Berlin 1998, S. 102. Frankfurt a.M. 1987, S. 414f. [73] Das Haus steht symbolisch für Deutschland, die Risse für Hitlers allmähliche Machtergreifung. Viel bedeutender jedoch ist die Intention, die Brecht diesbezüglich in seinen Hitler-Chorälen verlauten lässt. 4.4 Der exilierte „Stückeschreiber“ – exemplarische Betrachtung am Drama „Der Aufstieg des Arturo Ui“ Doch wer eine durchweg starre Position in Brechts Exilstücken wiederzufinden glaubt, der irrt. Die Parabel handelt von Herrn Keuner, der eine Rede gegen die Gewalt hält. Im ersten Choral ist von einem Haus mit Rissen die Rede, dass nicht neu aufgebaut, sondern lediglich neu angestrichen wird. Inhaltlich hingegen wird die Bitte um Nachsicht, sinngemäß vorbehaltlos identisch mit der endgültigen Fassung deutlich: „Ihr Nachgeborenen, wenn ihr lest, was ich schrieb. [29] Brecht verließ Deutschland zwar nicht gerne, doch er arrangierte sich mit den Umständen so gut es ging; schrieb er doch einmal in seinen autobiografischen Notizen: „Leben heißt für den Menschen, die Prozesse organisieren, denen er unterworfen ist.“ [30], Von allen drei großen Exilstationen in Dänemark, Schweden und Finnland sollte der erste Aufenthalt in Dänemark von 1933 bis 1939 der längste werden. 4.2.2.3 Inhaltliche Interpretation Doch obwohl die damaligen ersten Gehversuche nicht gerade die besten waren, legte Brecht durch dauerndes, geduldiges Experimentieren, das schon bald Früchte tragen sollte, den Grundstein für sein später so geniales Werk, für seine inhaltlichen, aber auch formal-ästhetischen Fähigkeiten. 4.2.2 Unregelmäßige Rhythmen für ein differenziertes Denken – „Notwendigkeit der Propaganda“ v. Richard Brinkmann/Friedrich Sengle/Klaus Ziegler, Bd.7). Die „Svendborger Gedichte“ sind auf eine gewisse Art als Gelegenheitslyrik zu verstehen. 0000087812 00000 n ): Brecht-Handbuch, Bd. [14], Doch trotz aller ästhetischer Intentionen ist, wie bereits angedeutet, eines der kennzeichnendsten Merkmale von Brechts Exilwerk dessen politische Dimension und Bedeutung mit all ihrer Wirkungsmächtigkeit, in der er seine Abneigung gegen den Nationalsozialismus auf warnende Weise kund tut. Wie war der Tagesablauf eines Schultages in der Zeit des Nationalsozialismus? [88] Brechts Denkweise spiegelt auch die These Hincks wider, dass Brecht sich zu dieser Zeit eher als Schreiber für die breite Masse denn als einen Lyriker für eine hoch intellektuelle Leserschaft sah.[89]. [78], Die „Svendborger Gedichte“ sind in insgesamt sechs römisch nummerierte Abschnitte gegliedert, von denen wiederum nur die mit den ungeraden Zahlen, I (Deutsche Kriegsfibel), III (Chroniken) und V (Deutsche Satiren) einen Untertitel erhielten. Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist. [98] Alle Gedichte und Dramenausschnitte dieser Arbeit werden zitiert nach: Bertolt Brecht: Werke. Frankfurt a. M. 2006, S. 40 f. [35] Der DAD war eine sozial angehauchte Anlaufstelle für emigrierte Schriftsteller, die feuilletonistische und kleinere poetische Arbeiten dieser vermitteln und ihnen so wenigstens einen kleinen Verdienst ermöglichen sollte. 2. [49] Aus seiner Antipathie gegen den Kapitalismus – er sah, dieser Sichtweise muss bei der nachfolgenden Lektüre, insbesondere im Umkreis des Dramas, größte Bedeutung beigemessen werden, im Nationalsozialismus die Fortsetzung des Kapitalismus mit anderen Mitteln – erwuchs Brechts Marxismustheorie, die sich jedoch keineswegs auf den osteuropäischen Klassiker marxistischer Denkweise beschränkte, sondern sich vielfältigerer Auslegungsmöglichkeiten bediente. [5] Vgl. Doch bevor mit der Interpretation dieser drei Gedichte begonnen wird, soll zunächst auf die politische Orientierung Bertolt Brechts und sein Leben im Exil eingegangen werden, um die Hintergründe dieser lyrischen, wie auch dramatischen Werke aufzuzeigen. Vielmehr musste sich der damals Fünfzehnjährige das Handwerkszeug eines Dichters in mühevoller Arbeit und kontinuierlicher Übung aneignen. ): Schreiben im Exil. Schriftsteller, Wissenschaftler und Künstler in der Emigration nach 1933. [54] Vgl. [67] Seine Haltung zum Nationalsozialismus war, einmal abgesehen von der generell ablehnenden Einstellung gegenüber der Hitler-Herrschaft, die Brecht zeitlebens an den Tag legte, zwiespältig. [36] Dieser Beobachtung kommt im Hinblick auf die vorliegende Arbeit besonderes Gewicht zu – war sie doch später essenzielle Basis für grundlegende Ereignisse im „Arturo Ui“. Hinck, Walter: Alle Macht den Lesern. 54). [63] In: Thiele, Dieter: Bertolt Brecht: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Denn „so sehr er sich auch bemühte, mit seinen Werken den deutschen Widerstand, den es ja gab, zu unterstützen, so wirkungslos blieben letztlich alle Anstrengungen, mit den Mitteln des Schriftstellers ‚einzugreifen’, wie sein Lieblingswort dafür lautete (…)“. Doch das Haus wird nicht, wie Hitler propagiert, neu aufgebaut, sondern die schäbigen Risse lediglich übertüncht, woraus wiederum die Bezeichnung des Anstreichers erwächst. Zufällig bin ich verschont. 4.4.2.5 Ideologiekritik und Rezeption -Lyrik markieren.[86]. Neben Reisen nach Paris führte Brechts Weg auch nach Moskau, New York – dort sammelte er bereits erste Eindrücke zur Umsetzung seines „Ui“-Stücks – und London. [17] Vgl. Cohen, Robert: Brechts ästhetische Theorie in den ersten Jahren des Exils, in: Schreckenberger, Helga (Hrsg. Dieses literarische Genre umfasst die Werke von den Schriftstellern, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden und fliehen mussten. Später dann, in der DDR – um einen besseren Gesamteindruck von diesem bedeutenden Dichter zu erhalten, soll hier ein kleiner Exkurs über den zeitlichen Rahmen der Arbeit hinaus gewagt werden – war Brecht sofort bereit, abermals weit reichende Zugeständnisse zu machen. Koopmann, Helmut: Brecht – Schreiben in Gegensätzen, in: Koopmann, Helmut (Hrsg. hierzu genauer: Schuster, Jörg: Elegie (2007), in: Burdorf, Dieter (Hrsg. ), Brecht Lexikon, Stuttgart, S. 23 ff. 4.4.2.5.2 Wirtschaftsdrama kontra Hitler-Historie, 5 Gleicher Leitgedanke – leicht nuancierte Unterschiede in der Umsetzung. Eindeutig wird das an dem bereits vorgegriffenen Beispiel der Hitlerkarikatur Iberin aus dem Parabelstück „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ (1934), der als Opfer auftritt und dem Hitler in der Gestalt des Ui in „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ (1941), „(…) der das Wesen des großen Töters in grotesker Übersteigerung hervortreten [lässt]“. [102] Vgl. Cohen, Robert: Brechts ästhetische Theorie in den ersten Jahren des Exils, in: Schreckenberger, Helga (Hrsg. 4.2.1.2 Inhaltliche Analyse Lediglich die beiden Teile „An die Überlebenden“ und „Wirklich, ich lebe“, wurden in genannter Reihenfolge in das Typoskript aufgenommen. Februar 1898 in Augsburg als Eugen Berthold Brecht geboren. Es ging ihm von Beginn an in erster Linie um die Veröffentlichung seiner Werke; er plante schon frühzeitig seine Karriere als Dichter, indem er geradezu strategisch vorging, zum Beispiel als Fünfzehnjähriger schon Gedichte bei angesehenen Zeitschriften zur Publikation einreichte, dabei erfolglos blieb, als Reaktion darauf jedoch die Schülerzeitschrift „Die Ernte“ ins Leben rief. [19] Vgl. [100] Vgl. [48] In: Müller, Klaus-Detlef: Die Funktion der Geschichte im Werk Bertolt Brechts. Berlin/Weimar/Frankfurt a.M. 1988-2000 als „GBA“ jeweils mit Band und Seitenzahl. Sein Schreiben lässt sich folglich „(…) als Schreiben in Gegensätzen bestimmen (…); als Produktion aus der Negation heraus, die bei ihm zu spezifischen Dualismen und Polarisierungen führte (…)“. )/Opitz, Michael (Hrsg. 2.1 Lebensstationen seit der Machtergreifung Hitlers Im Osten wurde er als Erneuerer des Theaters gefeiert; aber auch hier gab es ihm gegenüber Vorbehalte, nicht zuletzt wegen der Frage, ob Brechts Kunst mit den Vorstellungen eines „sozialistischen Realismus“ vereinbar sei.